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Feen-Zeit

Es gibt keine Entschuldigung für mein Verhalten an diesem Vormittag, außer vielleicht, dass ich mir der Ungehörigkeit meines Benehmens nicht bewusst war. Und törichterweise vergessen hatte, welchen Zeitpunkt ich mir für meinen Waldspaziergang ausgesucht hatte: kurz vor Weihnachten ist die Wintersonnenwende, die längste Nacht des Jahres, und die Wände zwischen den Welten sind zu diesem Anlass offensichtlich dünner als ein Blatt Papier. Und wie ein Bauerntölpel war ich ohne Anmeldung mitten in den Thronsaal der Feen gestolpert ....

Dabei hätten mir die Zeichen eigentlich auffallen müssen: Ein Ring aus Pilzen und Bäumen auf der Waldlichtung, die frisch ausgetriebenen Farnwedel und die Blätter in den Baumkronen mitten im Winter und nicht zuletzt das plötzliche Aufkommen dichten Nebels.

 

Dieser Nebel war es auch, der mir unvermittelt das Gefühl gab, abgeschieden von der Alltagswelt in einem weiträumigen Saal zu stehen. Und ja, dort in wenigen Metern Entfernung stand ein Thron, wo vor wenigen Minuten noch ein Baum war. Oder war es beides?

 

Auf dem Thron saß die Herrscherin über diesen Teil des Nördlichen Waldes und musterte mich wortlos mit leicht spöttischem Blick. Ihr Gesicht war jung, doch davon ließ ich mich nicht täuschen, sie war sicherlich schon alt gewesen, als der mächtige Baum hinter ihr noch ein zarter Schössling gewesen war. Das Alter und das Wissen, welches aus diesen Augen sprach, ließen alle Gedanken an ein fröhliches „Hallo, hoffentlich störe ich nicht …“ meinerseits im Keim ersticken.

 

Zusätzlichen Respekt flößten mir die Wesen ein, die rechts und links hinter ihrem Thron standen. Im Nebel konnte ich keine Einzelheiten erkennen, nur ein Hirschgeweih und eine vermummte Gestalt. Ein Blick in die Dunkelheit unter der hochgezogenen Kapuze ließ mich frösteln.

 

Ich hatte das Gefühl, die Zeit bliebe stehen im Angesicht dieser Wesen im Thronsaal der Feen. Die Alltagswelt war nur noch ein fernes Rauschen und die Momente dehnten sich aus, bevor sie aufhörten aufeinander zu folgen, wie sie es sonst immer tun und zu einer Einheit wurden, so dass ich das Holz des Baumes beim Wachsen leise knarren und jeden einzelnen Farnwedel beim Auseinanderrollen seufzen hörte. Das Blätterrascheln war erfüllt von Versprechungen und tausendfachen unbeschreiblichen Bedeutungen, weit, sehr weit jenseits meiner menschlichen Wertesysteme.

 

Wie lange ich wie hypnotisiert dagestanden habe und an den Wahrnehmungen und der Welt der Feen teilhatte, weiß ich nicht mehr, aber eine langsam kriechende Bewegung der großen Baumwurzeln vor mir ließ mich aufschrecken, wie aus einem unerwünschten Sekundenschlaf auf nächtlicher Landstraße. Es war nun definitiv der Zeitpunkt gekommen, mich zu verabschieden, wollte ich nicht auf Ewigkeit hier verweilen. Mir fiel nichts Besseres ein, als mich tief zu verbeugen und mich langsam rückwärtsgehend zu entfernen bis zur „Tür“ des Saales. Dies rief keine negative Reaktion hervor, also drehte ich mich um und verließ mit gezwungen gemessenen Schritten die Lichtung.

 

Als ich aus dem Nebel heraustrat und kurz danach den Waldrand erreichte, sah ich die Sonne gerade hinterm Horizont verschwinden, obwohl es doch soeben noch Vormittag gewesen war. Ein Blick auf die Uhr half nicht weiter: Sie war stehengeblieben, offensichtlich ein nutzloses Werkzeug um die Zeit in diesem Teil des Waldes zu messen. Ich beschloss, sie bei meinen nächsten Spaziergängen im Nördlichen Wad nicht mehr aufzusetzen.