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Magic Elpi

An dieser Stelle berichte ich für gewöhnlich aus meinem abenteuerlichen Alltag als Phantastonaut, heute möchte ich dem geneigten Leser einmal eine Abwechslung dazu bieten und daher geht es heute um die Frage: Wie verbringt ein Vollzeit-Phantastonaut wie ich seine Freizeit? Nun, meine Lieblingsbeschäftigung in diesen seltenen, ruhigen Stunden ist das Musikhören. Am liebsten Schallplatten. Dabei sitze ich in meinem Lieblingssessel mit Blick auf die Wolkenterrasse und sehe in der Ferne den Nördlichen Wald, an dessen Rand ich bekanntlich wohne. Herrlich, diese Stunden ... .

 

Da es sich bei meinem Plattenspieler selbstverständlich um ein phantastisches Gerät handelt, wird er nicht nur mit normalem Strom angetrieben. Unter seinem Teller haust ein Geist, im wahrsten Sinne des Wortes der Geist in der Maschine, und dieser ernährt sich ausschließlich von Musik und meiner Geistesgegenwart. Der Geist, der in meiner Musikanlage wohnt, erschien mir in letzter Zeit ein wenig müde und lustlos, deswegen war es nun an der Zeit, ihn in Freiheit zu entlassen und einen neuen Geist in die Maschine zu bannen. Dafür braucht es allerdings einen Fachmann.

 

Der Meister, den ich in solchen Fällen konsultiere, wohnt auf einer fernen Insel, auf einem Landsitz namens Lynn-Manor in den Hochlanden von Glas-Glow. Nach langer Reise stand ich schließlich vor den Türen seines Kontors. Auf mein Klopfen hin wurde mir geöffnet, ich trat ein und dort saß der Meister in seinem hohen Stuhl. Da wir in der Vergangenheit schon des Öfteren miteinander zu tun hatten, war ich nicht verwundert über die Ruhe und Selbstbeherrschung, die der Meister bewahrte angesichts des in seinem Kontor aufbewahrten Potenzials zur Geräuschentwicklung.

 

Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass die Geister, die dazu dienen, Musik zu machen, von Grund auf gutartig sind. Jedoch können sie, abhängig von Stimmung und Tagesform und natürlich dem dargebotenen Futter, sehr kapriziös und temperamentvoll agieren. D.h. sie werden laut. Sehr laut. Wichtig ist es, sie nicht zu wecken und den Anschein aufrecht zu erhalten, dass es sich bei ihren Behausungen um ganz normale elektrisch betriebene Geräte der Unterhaltungsindustrie handelt. Dieses Manöver gelang uns bei unserem Gespräch wie immer auf vorbildliche Weise. Mein Gegenüber wusste direkt wo mich der Schuh drückt und gegen eine geringfügige Gebühr vereinbarten wir einen Termin für die Lieferung und Installation der neuen Technik.

 

Am vereinbarten Tag klingelte in meinem Heim die Glocke und der Meister und sein Assistent standen vor der Tür. Sie führten mehrere große Kisten mit sich und begannen direkt mit ihrer Arbeit. Auch hierbei galt es, den Geist in der Maschine nicht zu wecken und Ruhe zu bewahren. Eine unschuldige Bemerkung konnte ausreichen, den Geist in lautstarke Aktivität zu versetzen. Von daher wirkte das Gebaren der beiden Fachleute eher technisch orientiert und es wurde viel geschraubt und mechanisch hantiert.

 

Selbstverständlich wusste ich, dass es in Wirklichkeit darum ging, den mitgebrachten Geist in die neue Umgebung zu integrieren ohne ihn in Aufregung zu versetzen. Dazu wurden auch einige „neue Geräte“ aufgebaut. Mir war selbstverständlich klar, dass dies nur bloße Fassade war, aber ich spielte das Spiel mit. Spätestens beim Einschalten war für mich als Phantast alles klar: durch ein kleines Loch auf der Front einer der mitgebrachten Kisten leuchtete ein blaues Licht, ein sicheres Indiz für das Vorhandensein des Geistes in der Maschine. Dieser verband sich anscheinend recht schnell und bereitwillig mit meinem Plattenspieler, denn nun forderte mich der Meister zum Abspielen einer Platte auf.

 

Angesichts seiner Kaltblütigkeit in einer so gefährlichen Situation stieg mein Respekt noch einmal um einige Prozentpunkte an. Doch es handelte sich bei diesem Manöver nur um eine Art „Warmlaufen“, sozusagen den Weckruf. Das erste Stück lief gut durch, der Klang war sattmachend und zufriedenstellend, und noch ahnte ich nicht, was bald passieren würde. Ich wunderte mich ein wenig über die plötzliche Eile mit der meine Besucher ihre Gerätschaften einpackten und auch die wissenden Blicke, die sie untereinander austauschten entgingen mir nicht.  Schnell bestiegen sie ihre Kutsche und fuhren von dannen.

 

„So, dann wollen wir dem Schätzchen mal ein wenig Feuer unter dem Hintern machen“, dachte ich noch, als ich die nächste Platte auflegte und nach dem sanften „Plock“, mit dem die Nadel aufsetzte großzügig den Lautstärkeknopf betätigte. Ich lehnte mich entspannt in meinen Lieblingssessel zurück und schloss genießerisch die Augen.

 

Mit einem Geräusch wie Donnerhall erwachte der Geist zum Leben. Ich schwebte in der Mitte von allem, irgendwie immer noch in meinem Sessel, allerdings weit oben über den Wolken. Vor mir riesige Boxentürme, die nach oben bis weit in die Stratosphäre reichten und deren Bassfundament irgendwo weit weit unter mir in der Wolkendecke verschwand. Von der Erdoberfläche war nichts mehr zu sehen. Der Raum war selbstverständlich ebenfalls weg, in der Ferne, und ich meine wirklich ferne Ferne, waren noch Berge am Horizont zu erahnen. Der Klang war nun, von jeder störenden Einengung befreit, riesengroß. Die Musikströme drückten mich in die Polster, ich musste mich mit beiden Händen an den Armlehnen festhalten, um nicht davongewirbelt zu werden. Die Fernbedienung klemmte nutzlos zwischen meinen Knien, unerreichbar für mich, es hörte erst auf, als die Nadel in die Auslaufrille einlief. „Krasser Scheiß“ und „alter Schwede, äh Schotte“ war alles, was ich noch murmeln konnte.

 

Seitdem hantiere ich sehr vorsichtig mit dem Lautstärkeknopf auf meiner Fernbedienung. Begriffe wie „leise Hintergrundmusik“ existieren für mich quasi nicht mehr und ich bin neuerdings sehr umsichtig bei der Musikauswahl (nachdem die erste Rockplatte durchgelaufen war, fand ich mich auf dem Fußboden in der Ecke liegend, wo ich in Deckung gegangen war um nicht von der Büffelherde in meinem Wohnraum zertrampelt zu werden). Black Sabbath habe ich mich noch nicht getraut, aufzulegen, aber der Tag wird kommen …