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Blühende Phantasie

Es gibt eine bestimmte Art von Geschichten, manchmal sind es sogar ganze Bücher, bei denen der Leser das Gefühl hat, dass darin einfach nichts passiert. Und sobald ich beim Lesen den Verdacht habe, dass es sich um eine solche Geschichte handeln könnte, steige ich für gewöhnlich aus und schieße den Vogel in die Ecke. Nun, das was ich im Folgenden erzählen werde, ist eine solche Geschichte, also empfehle ich denjenigen, die auf Handlung oder gar Action warten, einfach nicht weiterzulesen.

 

Dabei beginnt die Geschichte in dieser Hinsicht vielversprechend. Wie sich der gut informierte Leser vielleicht erinnert, tauchte ich am Ende meiner Suche nach dem Land hinter der Zeit, aus dem Meer Chaos auf. Und dachte, nun hat die Suche endlich ein Ende gefunden und damit auch der dritte Teil der Geschichte.

 

Doch wie sich herausstellte, war dies ein großer Irrtum. Ich machte mich gerade daran, das kurze Stück zum Schiff des Käpt´ns zurückzuschwimmen um wieder an Bord zu gehen und mich von ihm gemütlich nach Hause schippern zu lassen, als mich mit einem Mal eine bleierne Müdigkeit überfiel. Meine Schwimmzüge wurden langsamer und langsamer und wie es manchmal in Träumen passiert, wurde der Widerstand des Wassers immer größer. Es war plötzlich irgendwie zähflüssig. Kurz gesagt, ich schlief nicht im Stehen ein, sondern im Schwimmen. Das letzte, was ich sah, bevor mir die Augen zufielen, war das Gesicht des Käpt`ns über mir an der Reling und sein irgendwie wissender Blick, als er mir zusah, wie ich langsam im erstarrenden Meer Chaos unterging.

 

Als ich erwachte, war ich nicht mehr im Wasser, sondern lag am Ufer. Nur war es kein Meeresufer, sondern das eines kleinen Sees im Wald. Mein Gesicht befand sich nur wenige Zentimeter über seiner spiegelglatten Oberfläche und ich sah, noch benommen vor Müdigkeit, meine Spiegelung im tiefschwarzen Wasser. Moment, das war gar nicht mein Gesicht, sondern das einer Frau. Mit einem Ruck wurde ich hellwach. Schaute hoch. Und sah die Frau auf einem Felsen im Wasser sitzen, nicht weit von mir entfernt. Sie hatte das gleiche Gesicht, dass ich soeben im Spiegel der Wasseroberfläche gesehen hatte.

 

Die Frau war völlig unbekleidet, doch Kleidungsstücke hätten bei ihr nur störend gewirkt, denn ihre Haut war magisch bunt und mit wunderschönen, augenverwirrenden Mustern bedeckt. Ihr Gesicht wirkte gleichzeitig völlig fremdartig und sonderbar vertraut, als wären wir uns schon oft begegnet. Die Augen leuchteten von der Intensität ihres Blickes. Ein uraltes „Ja-ich-bin-es“ lag in diesem Blick, als sie mich ansah. Und als sie den Mund öffnete um mit mir zu sprechen, hörten meine Ohren keine Worte, sondern den Gesang einer wunderschönen Stimme und sogar Musik, welche den Gesang begleitete. Die Worte, die ich dann vernahm, waren eigentlich keine Worte im gewöhnlichen Sinne, sie ertönten alle gleichzeitig, als Gewissheit in meinem Herzen.

 

„Ich bin Blühende Phantasie. Ich bin die Königin des Nördlichen Waldes, doch ist dies nur ein kleiner Teil meines Reiches, wie du sicher weißt. Denn du bist der Phantast und wir sind uns schon oft begegnet, meistens in Träumen. Aber auch außerhalb davon gibt es Bereiche, wo ich dir nahe bin. Viele suchen nach mir und wenn sie mich erblicken, verspüren sie den Drang niederzuknieen und mich anzubeten, doch das brauchst du nicht zu tun. Du hast deine Farben und mit deinen Bildern erweist du mir großen Respekt und lässt mich erblühen. Sobald du deine Bilder malst, folge ich deinem Ruf und dann spürst du meine Gegenwart und Nähe. Doch du kannst mich nicht berühren und auch nicht festhalten, denn dann verschwinde ich.

 

Suche mich nicht an weit entfernten Orten, denn obwohl ich eine Bewohnerin des Landes hinter der Zeit bin, sind Raum und Zeit nur Blendwerke des Diesseits und ein Trick seiner Wahrnehmung.

 

Und wisse dies: deine Gabe bedeutet für dich Segen und Aufgabe zugleich. Der Segen ist meine Gegenwart, die Gunst von Blühender Phantasie. Die Aufgabe ist das Weitergehen.

 

Du weißt es schon längst: Es gibt kein Stehenbleiben und kein Zurück, du würdest ohne mich verdursten und verhungern. Auf dem Weg, der hinter dir liegt, warten nur die Geister aus deiner Vergangenheit, alles was sie dir als Nahrung anbieten können, sind Asche und Staub.“

 

Und damit verklang die Musik, die Farben verblassten und ich erwachte ein weiteres Mal, in meinem Lieblingssessel sitzend, zu Hause auf der Wolken-Terrasse. Ich musste wohl eingenickt sein. Vor mir auf dem Tisch ein ganzer Stapel Bilder, die ich anscheinend im Halbschlaf gemalt hatte und mein Notizbuch, vollgeschrieben mit diesen rätselhaften Geschichten.

 

Doch an welcher Stelle der Geschichte begann der Traum und was hatte ich wirklich erlebt? Und war das überhaupt die entscheidende Frage?