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Der Puppenspieler, Teil 1

B-Zombies

Wenn man als Phantastonaut Wert darauflegt, dass ein kurzer Gang in den Keller zwecks Nahrungsbeschaffung nicht zu einer Reise ohne Wiederkehr wird, sollte man dabei einige einfache Sicherheitsvorkehrungen beachten. Regel Nr. 1: keine unnötigen Aufenthalte oder Verzögerungen, vor allem nicht irgendwo stehenbleiben und vor sich hinträumen. Diese eherne Regel meines Gewerbes hatte ich leider an diesem Tag aus irgendwelchen Gründen sträflich vernachlässigt und an statt die Dose mit den Erbsen zu nehmen und blitzschnell zuzusehen, dass ich damit wieder in der Oberwelt verschwand, stand ich nun gedankenverloren im Vorratsraum. Ein Kellerraum mit einer zugemauerten, niedrigen Tür hinten in der Ecke.

Mich beschäftigte die Frage, wie ich vergessen konnte, dass ich in früheren Zeiten unzählige Male den finsteren Gang betreten hatte, der hinter diesem Mauerwerk verborgen lag? Fast schien es mir, als wäre das eine andere Person gewesen. Dunkle Erinnerungen tauchten vor meinem inneren Auge auf: Ein Herrscher über ein finsteres Schloss und damit auch Herrscher über die Unterwelt, welche hinter der Tür lag. Nichts, was dort geschah, blieb ihm verborgen, so dass auch meine Expeditionen in seinem Reich ihm irgendwann auffielen. Nur unter größten Mühen konnte ich seiner gierig ausgestreckten Hand entkommen.

 

Als ich hochschreckte aus meinem finsteren Brüten über der Vergangenheit, fand ich mich, wie hätte es anders sein können, in einem völlig anderen Raum wieder, an dessen Rückwand ich stand. Meine Hand lag noch auf den Steinen eines Durchbruchs in der Wand, welcher das Ende des Ganges bildete, der hinter der zugemauerten Tür in meinem Keller begann. Als ich mich in dem düster erleuchteten Raum umsah, wunderte ich mich über seine Weitläufigkeit. Dabei war die Decke niedrig, in den Wänden klafften zahlreiche große Löcher, wie das, aus dem ich gerade hervorgekommen war und an der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich ein erhöhtes Podest, eine Art Bühne. Davor mehrere Stuhlreihen. Hinter der Bühne bedeckte ein Vorhang einen Teil der Wand.

 

Ein finsteres Grauen bemächtigte sich meiner, als ich unvermittelt schlurfende Geräusche aus einem der Gänge hörte. Es klang wie schleppende Schritte, die sich langsam näherten und nun sah ich eine undeutliche Bewegung im dort herrschenden Zwielicht. Mein Instinkt sagte mir, dass es möglicherweise für mich besser wäre, hier an diesem Ort nicht gesehen zu werden und so setzte ich mich, in Ermangelung einer besseren Strategie, schnell auf einen der Stühle in der letzten Reihe und machte mich klein und unauffällig.

 

Nicht zu früh, denn in diesem Moment erschien in der Öffnung in der Wand eine dunkle Gestalt. Die Arme tastend ausgestreckt, wie blind, schlurfte sie mit steifen Schritten in den Raum. Die Reste von Kleidung hingen an ihr wie Lumpen, uralt und verrottet, die Haut war grau und verwest, die Lippen zu einem immerwährenden, starren Grinsen von den Zähnen zurückgezogen. Ein wandelnder Toter.

 

Auch in den anderen Gängen erschienen jetzt ähnlich aussehende Gestalten. Sie alle strebten, wie einem stummen Befehl folgend, zur Bühne, wo sie sich zu einer schaurig aussehenden Reihe formierten und sich alle gleichzeitig vor dem nicht vorhandenen Publikum verneigten. Hoffentlich nicht vor mir, ich erschauderte bei diesem Gedanken und nun sah ich, dass die lebenden Toten etwas in den halbverwesten Händen trugen; es waren altmodisch aussehende Theatermasken und einige von ihnen begannen, sie mit ungelenken, ruckartigen Bewegungen vor ihre schrecklich entstellten Gesichter zu heben.

 

Sofort ging eine Veränderung mit ihnen vor, sie wirkten nun irgendwie … weniger tot. Auch die Masken sahen mit einem Mal viel realistischer aus, fast wie die Gesichter von Menschen, die mir außerhalb dieses Kellertheaters schon einmal begegnet waren.

 

Nun ertönten knappe, scharf formulierte Anweisungen aus dem Hintergrund und die grausige Truppe auf der Bühne führte daraufhin eine kurze Szene vor. Dies wiederholte sich mehrmals, bis mir klar wurde, dass hier ein Theaterstück geprobt wurde. Das Schlimme daran war, dass ich die Szenen, die dabei gespielt wurden, kurz zuvor schon einmal gesehen hatte. Es waren Ereignisse aus meinem Leben.

 

Und die Toten spielten diese Szenen in immer neuen Varianten nach. Manchmal gab es leichte Abwandlungen im Text, der dabei gesprochen wurde, immer nach den Anweisungen des unsichtbaren Regisseurs. Nie schien er zufrieden mit den Leistungen seiner Schauspieler, obwohl alles sehr real wirkte. Solange die Masken oben waren. Mit wachsendem Grauen hörte ich es murmeln und vor sich hin schimpfen: „Bei der Uraufführung muss das sitzen, er darf auf keinen Fall etwas bemerken.“

 

Ein furchtbarer Verdacht beschlich mich und ich erschrak so heftig, dass ich hochfuhr und der Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, hinter mir zu Boden klapperte. Alle im Raum erstarrten in ihren Bewegungen. Dann ging ein Ruck durch die toten Schauspieler, sie ließen langsam ihre Masken sinken und drehten mir ihre furchtbaren Gesichter zu. Und kamen mit schleppenden Schritten zielstrebig auf mich zu. Ich zögerte nicht lange, drehte mich um und floh in den Gang, aus welchem ich gekommen war und dessen Öffnung finster hinter mir gähnte. Schon nach einigen Metern stand ich mit einem Mal vor einer massiven Wand: das war die zugemauerte Tür und ich befand mich eindeutig auf der falschen Seite. Hinter mir näherten sich die Geräusche schleppender Schritte. Ich saß in der Falle.

 

(Ende des ersten Teils, bald geht’s weiter.)